Über Frauenzimmer e.V.

 

Von der Gründungszeit bis heute

Die ganze Frauenzimmer-Geschichte

erzählt von Angelika May


Angelika May ist Sozialarbeiterin und eine der ersten Mitarbeiterinnen von Frauenzimmer e.V.
Das heißt, sie ist jetzt seit 30 Jahren dabei.

Wir haben sie in der öffentlichen, also auch öffentlich bekannten, Beratungsstelle von Frauenzimmer e.V. getroffen.


 

ANFÄNGE

Die 70er Jahre waren die Zeit der neuen Frauenbewegung. 1976 eröffnete das erste Frauenhaus in Berlin, 1979 das zweite.

Große Themen wie Abtreibung oder häusliche Gewalt und Gewalt in der Partnerschaft wurden von engagierten Frauen thematisiert und an die Öffentlichkeit gebracht. Viele dieser engagierten Frauen sind dann dazu übergegangen Initiativen, Gruppen und Projekte zu gründen, um sich einen Raum für politische Auseinandersetzung zu schaffen, aber auch immer, um betroffenen Frauen, Frauen, die Probleme haben, Hilfeangebote zu machen.

Von Anfang an wurde auch heftig diskutiert, ob Frauenprojekte staatliche Gelder einfordern sollten oder nicht.

Die einen haben gesagt, das sollten wir nicht tun, weil wir damit natürlich auch unsere Autonomie und natürlich auch unsere Unabhängigkeit ein Stück aufgeben. Die anderen haben gesagt, das ist jetzt wieder typisch für Frauen, gesellschaftlich wichtige Arbeit, soziale Arbeit wird unbezahlt geleistet, das geht auch nicht.

 

 

In der Folge sind viele Projekte dann den Weg gegangen, eine staatliche Finanzierung zu beanspruchen. Es gab damals einen Geldtopf, der hieß Selbsthilfetopf. Da gab es eine Anschubfinanzierung.

Mit diesem Geld war es zum ersten Mal möglich, Initiativen wie z.B. Frauenzimmer e.V. auch ein Stück zu etablieren.

Die Gründerinnen von Frauenzimmer, das waren damals alles sehr engagierte Frauen, aber auch mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen. Also wir haben zusammengesessen, wir mussten ja eine Konzeption entwickeln, also wir mussten uns letztlich einigen, wie so ein Konzept Zufluchtswohnung aussehen soll. Es wurde zum Teil gestritten ohne Ende, es gab Nachtsitzungen bis nachts um zwei.

 

 

Und dann kam auch die erste Belegung.
Dann haben wir die ersten Erfahrungen gesammelt. Wir hatten damals eine ABM-Stelle, das gab es ja noch und dann noch eine halbe Stelle und das heißt, wir haben ganz klein angefangen. Wir haben dann aber gleich auch weiter gestritten, weil wir gesagt haben, eine Wohnung reicht nicht, wir wollen dann die zweite, das Prozedere war ja das gleiche.

 

 

Inzwischen kannten wir das mit dem Möbelaufbau und wir haben aus Ofenheizungen beheizbare Wohnungen gemacht.
Es war insgesamt viel Aktionismus, viele Überstunden. Es gab schon damals die Auseinandersetzung, dass die Projektförderung nicht reicht. Das ist auch so ein roter Faden, der sich durchzieht, die Debatte ums Geld. Wir haben mal eine Aktion gemacht: 10.000 Überstunden – jetzt reicht’s. Das sind Presseerklärungen, die könnte man heute noch veröffentlichen.

Ein Teil der Frauen, die damals Gründungsfrauen waren, sind auch heute noch im Vorstand, das heißt, wir haben eine hohe Kontinuität. Wir sind inzwischen hier im Team acht Mitarbeiterinnen. Davon sind drei mehr oder weniger noch aus der Anfangszeit.
Ich finde, was uns unheimlich gut gelungen ist, in diesen ganzen Höhen und Tiefen als Team so zusammen zu bleiben. Und immer auch wohlwollend. Es gibt auch Projekte und Teams, die haben sich persönlich und fachlich zerlegt. Wir haben’s geschafft, uns gemeinsam weiter zu entwickeln und jetzt lächeln wir manchmal und sagen, jetzt werden wir gemeinsam alt.

 


MEILENSTEINE

Ein großer Einschnitt war für uns dann die Zeit Ende der 80er, Anfang der 90er, die Wende mit Mauerfall, was uns alle groß bewegt hat.

Wir hatten ja damals bereits zwei Zufluchtswohnungen in Kreuzberg und wir haben immer gedacht, wir sind am Ende der Welt. Jetzt waren wir plötzlich mitten im Zentrum mit unseren geheimen Adressen und es haben sich nach der Wende auch unheimlich schnell Frauenhäuser und Initiativen im Ostteil der Stadt gegründet, so dass wir dann auch in den Austausch gegangen sind. Wir mussten uns damals kennenlernen. Es sind sozusagen zwei Teile der Stadt, manchmal dachte ich zwei Welten, zusammengewachsen. Das war wieder eine bewegte Zeit, und es war gar nicht so einfach, das auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, dass wir künftig auch gemeinsam gegen häusliche Gewalt streiten konnten. Denn die existierte ja in der DDR genauso wie im damaligen Westberlin bzw. Westdeutschland.

89/90 gab es in Berlin ja einen rot-grünen Senat. Zum ersten Mal und damit auch zum ersten Mal in der Geschichte eine Senatorin für Frauen.

 

 

Das war Anne Klein, die ja leider nicht mehr lebt, aber ihr verdanken wir sehr viel (im Bild mit Mike Gossmann). Sie hat sich das Thema häusliche Gewalt tatsächlich auf die Fahne geschrieben und ihr ist es zu verdanken, dass damals das Angebot für Frauen sehr erweitert worden ist.
Es gab zum ersten Mal eine Projektfinanzierung, also es wurde anerkannt, dass die Projekte auf Dauer abgesichert werden müssen. Wir beantragen zwar nach wie vor jährlich unser Geld, aber ich glaube inzwischen ist es politisch unbestritten, dass Antigewalteinrichtungen eine notwendige Arbeit machen, leider immer noch, und dass sie auf Dauer finanziert werden müssen.

Für uns bei Frauenzimmer e.V. hieß das, dass wir von zwei auf fünf Wohnungen aufstocken konnten, und dass wir mehr Personalstunden bekommen haben, um die Frauen zu beraten und zu begleiten. Und damit wurde für uns eine Basis für die nächsten 15 bis 20 Jahre gelegt. Das war ein großer Einschnitt.
Inzwischen haben wir sieben Wohnungen. Ich glaube, dass im Bereich der Zufluchtswohnungen die Versorgung ausreichend ist. Das Problem, das wir im Moment haben ist eher, dass die Akutplätze in den Frauenhäusern knapp sind.

Auch in Verbindung mit den Flüchtlingen, die nach Berlin gekommen sind, wo bekannt ist, dass viel häusliche Gewalt in den Flüchtlingsunterkünften passiert, ist der Bedarf gestiegen. Aber das Problem mit der Vollbelegung haben wir schon seit einer ganzen Weile. Da braucht es jetzt auch mal eine politische Lösung.

 

 

Also was wir in der Beratungsarbeit immer wieder erlebt haben ist, dass häusliche Gewalt in vielen Hilfesystemen und Professionen tabuisiert war. Ein ganz einfaches Beispiel, wenn ich die Polizei um Polizeischutz gebeten habe, dann habe ich früher Antworten gekriegt wie „Gehen Sie doch mal kucken, ob der Täter zu Hause ist“, oder „Die werden sich schon wieder vertragen, da brauchen wir nicht kommen“, das ist heute undenkbar. Aber das war damals Realität.

Oder wenn die Frauen mit Kindern zum Jugendamt mussten, stießen sie auf großes Unverständnis. Darum haben die Berliner Frauenprojekte Mitte der 90er Jahre gemeinsam das erste Interventionsprojekt BIG gegründet. Wir hatten damals vor mit der Polizei, mit Jugendämtern, mit Staatsanwältinnen, also allen mit denen die misshandelten Frauen zu tun haben, Konzepte zu erarbeiten, wie die Hilfe verbessert werden kann.

Und da ging es an erster Stelle um Schutz, also Schutz steht über Allem, Schutz ist das Allererste. Und da sind dann zum ersten Mal auch Arbeitsgruppen entstanden, die BIG koordiniert hat. Da haben dann verschiedenste Professionen, Frauenprojekte, Ämter, Polizei und so weiter, zusammengesessen, um Lösungen zu suchen. Das war der Weg raus aus der Nische von Frauenprojekten und, ich sag jetzt mal, rein ins richtige Leben.

Und wir haben auch immer mehr Themen öffentlich gemacht.

Ein großes Thema war ja immer, dass Migrantinnen im Familiennachzug, die nicht lange genug mit ihrem Mann zusammen gelebt haben, ausgewiesen wurden oder von Ausweisung bedroht waren. Die hatten kein eigenständiges Aufenthaltsrecht. Das hat Misshandlungen Tür und Tor geöffnet. Je abhängiger eine Frau ist, auch aufenthaltsrechtlich, desto einfacher ist sie misshandelbar. Das haben wir thematisiert. Und wir haben es tatsächlich auch geschafft, einzelne Erfolge hervorzubringen. Ja, also es gibt inzwischen die Möglichkeit für Migrantinnen, eine Härtefallregelung zu bekommen, wenn sie misshandelt worden sind.

Die Polizei hat inzwischen ein Konzept, wie sie bei Einsätzen häuslicher Gewalt vorgeht.

Und es haben sich Gesetze geändert. Es gibt die Möglichkeit, den Täter aus der Wohnung wegzuweisen. Das war ja die alte Forderung „Wer schlägt, geht“. Das sind ganz einfache Sätze, aber die Umsetzung dauert dann wieder recht lange.

 

 

 


VISIONEN

Wir bei Frauenzimmer e.V. haben ja Ende der 90er Jahre zusammen mit Frauen aus Politik und anderen Frauenprojekten noch ein wichtiges Interventionsprojekt gegründet: Signal e.V. Da war die Fragestellung, wie es zu schaffen ist, auch das Gesundheitswesen, die Gesundheitsversorgung, so aufzustellen, dass es möglich ist, Opfern im Krankenhaus, in der Rettungsstelle, auf Station und bei Niedergelassenen besser zu helfen.

Es wurde erkannt, dass häusliche Gewalt eines der größten Gesundheitsrisiken für Frauen ist. Und trotzdem sieht man auch da, dass die Intervention sehr langsam geht. Wir haben mit Signal e.V. zusammen das ein oder andere Bundesmodell mit Ärztinnen und Ärzten gemacht, aber wir sind längst nicht da, wo wir eigentlich sein wollen, nämlich, dass flächendeckend Fachkräfte geschult sind, Gewalt erkennen können, dass zum Beispiel die rechtssichere Dokumentation von Verletzungen nicht nur gemacht und angeboten, sondern auch honoriert wird.

Während wir um 2000 herum dafür streiten mussten, dass das Thema häusliche Gewalt auch als Gesundheitsthema gesehen wird, diskutieren wir heute über die Details, also, wie ist das eigentlich umsetzbar, wie kann das finanziert werden, wie ist es zu erreichen, dass in der medizinischen Ausbildung genauso wie in der Pflegeausbildung, standardmäßig zum Thema häusliche Gewalt gelehrt wird und so weiter.
Aus einem Thema entwickeln sich andere Themen und im Moment habe ich eher das Gefühl, das ist endlos, ich weiß gar nicht, ob uns eines Tages die Themen wirklich ausgehen, weil wir immer mehr Baustellen eröffnen.

Es gab dann auch lange Zeit diese Diskussion, wie erreichen wir mehr Zielgruppen:

Wie können wir Migrantinnen, die wenig Deutsch sprechen, die Kultur hier nicht kennen, das Hilfesystem nicht kennen, den Zugang zu Hilfeangeboten ermöglichen?

Wie kann man Frauen mit Behinderungen den barrierefreien Zugang zu Schutzeinrichtungen eröffnen? Meine alte Forderung ist ein barrierefreies Frauenhaus!
Bei Frauenzimmer e.V. sind wir die ersten gewesen mit den inzwischen immer noch einzigen Plätzen für Rollstuhlnutzerinnen.

2010, nach 15 Jahren Forderungen, konnten wir endlich ein psychotherapeutisches Kinderprojekt eröffnen, das war uns furchtbar wichtig. Weil wir denken, die Kinder brauchen eine eigenständige Behandlung und Begleitung. Wir wissen inzwischen aus unserer ganzen Erfahrung, wenn Kinder nicht die Chance haben, halbwegs gesund aufzuwachsen, dann ist das Risiko, dass sie im Erwachsenenalter Opfer oder Täter werden einfach unheimlich hoch. Studien zeigen ja, dass die Hälfte der gewaltbetroffenen Frauen bereits in der Kindheit Gewalt erlebt hat und oder die Gewalt zwischen den Eltern gesehen hat und selbst misshandelt worden ist. Von daher ist es uns ein wichtiges Anliegen, dass Kinder frühzeitig, also so früh wie irgendwie möglich, ihre eigenständige Hilfe bekommen, um den Weg aus der Gewaltspirale zu finden.
Wir haben intern für uns auch immer wieder kleine Projekte gemacht, haben uns weiter entwickelt. Inzwischen machen wir Angebote für Frauen, die nach Gewalt psychisch erkrankt sind, das sind viele, die eine hohe psychische Belastung haben.

Wir haben neuerdings auch ein Angebot auch für Frauen, die eine Suchtmittelerkrankung haben, die lange vollständig ausgeschlossen waren aus den Schutzeinrichtungen.

Das heißt, wir haben immer wieder im Kleinen versucht, die Angebote für Frauen zu verbessern, aber es reicht natürlich nie, deswegen glaube ich, dass wir die nächsten Jahre und Jahrzehnte also noch gut zu tun haben werden.

 

 


 

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